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Signale deuten: Senf passt nicht überall

15.02.2017 Christoph Solenthaler, Präsiident HEV Stadt St.Gallen

Stagnierende Bevölkerung, Leerstände bei Mietwohnungen und Ladenflächen, Parkplatzbeseitigung und Steuern auf Vorrat. Wer in den vergangenen Wochen die öffentliche Diskussion um St.Gallen verfolgt hat, wird den Eindruck nicht los, dass in mehreren Themenbereichen der Wurm steckt. Im neu konstituierten Stadtrat müssen viele Zeichen rasch richtig gedeutet werden, damit die Zukunft der Stadt nicht in falsche Bahnen läuft!

St. Gallen stagniert trotz Geburtenüberschuss

Erstmals seit elf Jahren ist die Einwohnerzahl der Stadt St. Gallen im 2016 zurückgegangen. Mit 79 331 Personen lebten 79 Personen weniger in der Stadt als im Vorjahr. An der Bevölkerung kann es nicht liegen: diese erreichte einen Geburtenüberschuss von 206 Personen. Bei der Stadt möchte man aber nicht von einer Trendwende sprechen und zeigt sich keineswegs alarmiert. Die Entwicklung sei lediglich eine «Konsolidierungsphase ».

Leerstände bei Wohnungen und Geschäftslagen

Im Vergleich mit anderen Schweizer Städten weist St. Gallen die höchste Leerwohnungsziffer auf: Von 100 Wohnungen sind in St. Gallen zwei frei. In Basel, Bern oder Winterthur liegt diese Ziffer zwischen 0,4 und 0,6. Man wohne halt vermehrt in den Agglomerationsgemeinden, dafür gebe es tiefere Mieten, meint man dazu bei der Stadt. Derweil darbt auch die Innenstadt, Geschäftsflächen bleiben unvermietet. Dass es um die Konkurrenzfähigkeit von St. Gallen im Wettbewerb der Standorte gehen könnte – also Faktoren wie Erreichbarkeit, Steuerpolitik oder das generelle Investitionsklima – wird bei der Analyse leider immer noch ausgeklammert.

Partizipation à la Saint Gall

Was bei der Bratwurst undenkbar, ist bei Projekten zur Entwicklung der Stadt die Norm: Interessengruppierung und Einzelpersonen dürfen zu Markplatz, Arealen oder der Bahnhofgestaltung in partizipativen Verfahren ihren Senf abgeben. Architekturspezialisten, Heimatschützer( innen) oder Quartierbewohner diskutieren, welche Auflagen und Restriktionen Investoren und Grundeigentümern aufgebürdet werden. Dass vielleicht – wie in anderen Städten auch – der frühzeitige Dialog mit potentiellen Investoren und betroffenen Grundeigentümern die Lösungsfindung beschleunigt, könnte auch in St. Gallen vermehrt Schule machen. Dass in diesem Feld noch Potential besteht, mussten gerade die Initianten des Parkhauses Schibenertor auf bittere Weise erfahren.

Parkplatzbeseitigung als Einbahnstrasse

Die Erreichbarkeit mit Auto und öffentlichem Verkehr ist das A und O für die Attraktivität eines Wohn- und Arbeitsstandorts. Doch sogar unabhängige Medien beschreiben die Auswirkungen der St. Galler Verkehrspolitik mittlerweile als «Parkplatz-Beseitigungs-Euphorie ». Listet man alle Vorhaben der Stadt auf, die eine Reduktion von Parkplätzen zur Folge hat, so sägt die Stadt an einem wichtigen Ast ihrer Standortattraktivität. Selbst erfreulichen Entwicklungen wie der zunehmenden Elektromobilität wird so bereits vorsorglich der Stecker gezogen. Oder brauchen ökologische Motorfahrzeuge etwa keine Parkflächen?

St. Gallen wieder attraktiv machen

Der neue Stadtrat muss aufgrund der veränderten Ausgangslage – stagnierende Bevölkerung, Leerstände bei Wohnungen und Läden, fehlgeleitete Verkehrsplanung, verhaltene private Investitionen, zu hohe Steuerlast – bei seinen Legislaturzielen unbedingt nachlegen. St. Gallen muss für Bewohner, private Investoren sowie die ansässige Wirtschaft wieder attraktiver werden. Auch Diskussionen zu einer wettbewerbsfähigen Steuerbelastung dürfen nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Denn der Geburtenüberschuss der St. Gallerinnen und St. Galler wird die Lücken nicht dauerhaft kompensieren.